Der ISO20022-Standard, der kein Standard ist

ISO20022 sollte die Revolution im globalen Zahlungsverkehr sein: ein einheitlicher Standard, der Banken und Unternehmen weltweit eine effiziente Kommunikation ermöglicht. Doch in der Praxis zeigt sich, dass ISO20022 seinem Anspruch nicht gerecht wird. Statt Einheitlichkeit zu schaffen, offenbart der Standard eine erschreckende Realität: Innerhalb der EU existieren verschiedene „Dialekte", die den Zahlungsverkehr unnötig komplizieren und Unternehmen wie Banken vor große Herausforderungen stellen. Viele Unternehmen fragen sich, warum es diese Unterschiede überhaupt gibt – schließlich war das Ziel doch genau das Gegenteil.

Die Illusion eines Standards

Auf dem Papier klingt ISO20022 perfekt. Ein globaler Standard, der durch eine einheitliche XML-Struktur für reibungslose Prozesse sorgt. Doch die Realität sieht anders aus. In der EU haben Länder wie Deutschland, Frankreich oder Italien ihre eigenen Interpretationen von ISO20022 entwickelt. In Deutschland beispielsweise wird das DK-Format verwendet, das spezifische Anforderungen an die Belegung von Feldern stellt. Ähnliche Abweichungen gibt es auch in anderen Ländern, was zu einem Flickenteppich an Standards führt. Der eigentliche Zweck – Interoperabilität und Effizienz – geht damit verloren.

Doch warum gibt es diese Unterschiede überhaupt? Die Antwort ist ebenso ernüchternd wie simpel: Nationale Regularien, bestehende Infrastrukturen und Eigeninteressen. Jede nationale Behörde und jede Bankengemeinschaft hat ihre eigenen Anforderungen eingebracht, um die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Was für einzelne Länder sinnvoll erscheint, führt in der Summe jedoch zu einem globalen Problem: einem Standard, der faktisch keiner ist.

Herausforderungen im Treasury-Bereich

Ein Bereich, in dem die Probleme besonders deutlich werden, ist das Treasury – der Austausch von Zahlungen zwischen Banken und Unternehmen. Treasury-Abteilungen sind auf eine hohe Straight-Through-Processing-Quote (STP-Quote) angewiesen, also eine möglichst automatische Verarbeitung von Zahlungen ohne manuelles Eingreifen. Doch die unterschiedlichen Dialekte von ISO20022 stellen genau das in Frage.

Bankenspezifische Anforderungen oder Ländervarianten führen dazu, dass Unternehmen ihre Systeme immer wieder anpassen müssen. Das betrifft beispielsweise die Belegung von Feldern für Zahlungsreferenzen, Buchungsinformationen oder den Umgang mit Sonderzeichen. Jede Abweichung erhöht das Risiko von Fehlern, senkt die STP-Quote und führt zu Verzögerungen in den Prozessen. Besonders problematisch ist, dass selbst innerhalb der EU keine einheitliche Linie erkennbar ist. Unternehmen, die in mehreren Ländern tätig sind, müssen daher eine Vielzahl von Varianten unterstützen – ein Albtraum für jede Treasury-Abteilung.

Die Unternehmen fragen sich zurecht, warum sie für einen globalen Standard zusätzliche Anpassungen vornehmen müssen. Schließlich war der ursprüngliche Gedanke, die Arbeit durch ISO20022 zu vereinfachen. Doch in der Realität kämpfen viele Firmen mit erhöhten IT-Kosten, zeitaufwendigen Implementierungen und einem erheblichen Ressourcenaufwand.

Die Folgen für Unternehmen und Banken

Für Unternehmen sind die Auswirkungen deutlich spürbar. Die Anpassung an verschiedene ISO20022-Dialekte bedeutet höhere IT-Kosten, längere Implementierungszeiten und eine erhöhte Fehleranfälligkeit. Manuelle Nachbearbeitungen von Zahlungen, die eigentlich automatisiert laufen sollten, werden zur Norm. Diese zusätzliche Belastung ist besonders für kleine und mittlere Unternehmen schwer zu tragen, da sie oft nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen.

Doch auch Banken bleiben nicht verschont. Jede Bank muss sich auf die länderspezifischen Varianten und die Anforderungen ihrer Geschäftspartner einstellen. Die damit verbundene Komplexität führt nicht nur zu höheren Kosten, sondern auch zu Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern. Der eigentliche Vorteil von ISO20022 – die globale Einheitlichkeit – wird so konterkariert.

Ein Standard mit Hindernissen

ISO20022 ist ein Standard, der keiner ist. Die Vielzahl an Dialekten innerhalb der EU zeigt, dass es mehr als nur einen gemeinsamen Rahmen braucht, um den Zahlungsverkehr tatsächlich zu vereinheitlichen. Solange jedes Land und jede Bank eigene Anpassungen vornimmt, bleibt ISO20022 ein theoretisches Konstrukt, das in der Praxis mehr Probleme schafft, als es löst.

Die Unternehmen, die mit diesen Herausforderungen konfrontiert sind, stellen sich eine zentrale Frage: Wäre es nicht sinnvoller, wenn alle Beteiligten – Banken, Behörden und Unternehmen – an einem wirklich einheitlichen Standard arbeiten würden, der keine nationalen Eigenheiten erlaubt? Solange es dafür keinen politischen Willen oder eine klare Strategie gibt, bleibt ISO20022 ein System voller Hindernisse und Kompromisse.

Der ISO20022-Standard zeigt, dass der Weg zu einem einheitlichen System noch weit ist. Doch die Frage bleibt: Ist ISO20022 wirklich der richtige Weg, oder braucht es einen Neustart? Solange diese Frage nicht beantwortet wird, bleibt der Standard das, was er heute ist – eine Illusion.


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